09.01.2021
Stellungnahme zur Unterstützung von Alleinerziehenden in NRW
Der VAMV NRW nimmt Stellung zum SPD-Antrag „Unterstützung für allein erziehende Mütter und Väter in Nordrhein-Westfalen stärken!“ im Ausschuss für Gleichstellung und Frauen und im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend des NRW-Landtages.
In NRW leben in rund 18% aller Familien allein erziehende Elternteile mit ihren Kindern zusammen, Tendenz steigend. Die Situation und Lebensbedingungen der Alleinerziehendenfamilien sind in den vergangenen Jahren eingehend untersucht worden.
Der VAMV NRW hat im Sommer 2019 eine von der Prognos AG erstellte Studie veröffentlicht, die viele aktuelle Zahlen zu den Themenkreisen Demografie und Struktur, Zufriedenheit und Belastung, Arbeitsleben, Arbeitswelt und Qualifikation, Ökonomische Situation sowie Wohnen liefert.
Dabei wurde wenig überraschend erneut festgestellt, dass die Familien, in denen nur ein Elternteil lebt, mit deutlich weniger Ressourcen auskommen müssen, als die Paarfamilien. Dies betrifft sowohl Zeit- als auch Geldressourcen. So steht einer Alleinerziehendenfamilie durchschnittlich nur die Hälfte des Familieneinkommens zur Verfügung wie einer vergleichbaren Paarfamilie mit gleicher Kinderzahl. Die Armutsquote ist höher als bei allen anderen Familienformen. In den Politikwerkstätten wurde anschaulich geschildert, wie belastend viele Alleinerziehende ihre Situation als permanente Mangelverwaltung der knappen Zeit- und Geldressourcen empfinden. Es wurde deutlich, dass Alleinerziehendenfamilien noch stärker auf eine gut funktionierende staatliche Infrastruktur (z.B. Kinderbetreuung) angewiesen sind als Paarfamilien.
Insofern bilden Alleinerziehende und ihre Kinder eine wichtige Zielgruppe für die Familienpolitik. Der VAMV NRW unterstützt jede politische Initiative, die die Situation Alleinerziehender und ihrer Kinder verbessern soll. Alleinerziehendenfamilien brauchen mehr politische und gesellschaftliche Unterstützung, damit eine Gleichstellung der Lebensverhältnisse mit anderen Familienformen Wirklichkeit wird.
Die Stellungnahme wurde unter drei Eckpunkten erstellt:
- Arbeit – Finanzen – Armut
- Bedarfsgerechte Kinderbetreuung
- Entlastung – mehr Zeit für Familie
Arbeit – Finanzen – Armut
Alleinerziehende sind trotz hoher Erwerbsbeteiligung finanziell deutlich schlechter gestellt als Eltern in Paarfamilien. Dies trifft auf allein erziehende Mütter, die ca 90% aller Alleinerziehenden ausmachen, noch stärker zu als auf allein erziehende Väter. So lag das durchschnittlich verfügbare Haushaltseinkommen 2017 für allein erziehende Mütter bei 1.830 Euro, für allein erziehende Väter bei 2.209 Euro und bei Paarfamilien bei 3.934 Euro. Seit vielen Jahren liegt die Armutsgefährdungsquote von Alleinerziehenden deutlich über der von Paarfamilien, in NRW betrug sie 2017 48%.
Vergleicht man die Erwerbstätigkeit von allein erziehenden Müttern mit der von Müttern aus Paarfamilien, fallen einige zum Teil deutliche Unterschiede auf.
Die Arbeitsbedingungen von allein erziehenden Müttern sind deutlich prekärer als die von Müttern in Paarfamilien und alleine dadurch schon schwerer mit ihren Familienaufgaben zu vereinbaren.
Der VAMV NRW fordert für Alleinerziehende eine höhere und nachhaltigere Teilhabe am Arbeitsmarkt. Politik, Verwaltung und Arbeitgeber sollten dies als gemeinsame Querschnittsaufgabe betrachten. Dabei soll die Arbeit existenzsichernd, familienfreundlich und gesundheitserhaltend sein. Die hohe Anzahl der allein erziehenden Mütter ohne Berufsabschluss und ebenso die der unterqualifiziert Beschäftigten muss unbedingt verringert werden. Dafür wäre es wichtig, auch „älteren“ Frauen über 25 Jahre noch systematisch zu ermöglichen, eine grundständige Berufsausbildung zu absolvieren. Leider beobachtet der VAMV NRW häufig, dass Frauen, die etwa mit Mitte-Ende Dreißig allein erziehend werden, diese Chance durch die Jobcenter nicht mehr bekommen und auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden, die sie schnell aber nicht nachhaltig in den Arbeitsmarkt bringen.
Kindergrundsicherung
Ein weiterer wichtiger Schritt aus der Armutsfalle wäre die Einführung einer Kindergrundsicherung. Diese würde alle kindbezogenen Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag, Anteile beim Wohngeld und SGB II- und SGB XII-Leistungen für Kinder in einer Geldleistung bündeln. Dabei ist unbedingt darauf zu achten, dass die Kindergrundsicherung das kindliche Existenzminimum abdeckt und nicht – wie heute – Kinder in Hartz IV-Familien systematisch ausschließt. Der VAMV ist seit 2018 Mitglied im Bündnis Kindergrundsicherung, einem breiten gesellschaftlichen Zusammenschluss von Wohlfahrtsverbänden und Wissenschaftler*innen. Das Bündnis Kindergrundsicherung setzt sich ein für eine Kindergrundsicherung in Höhe von zurzeit 628 Euro ein, wobei die Leistung mit dem Grenzsteuersatz der Eltern besteuert werden soll, faktisch also bei höherem Einkommen abschmilzt.
Eine weitere Forderung ist die steuerliche Besserstellung von Alleinerziehenden. Alleinerziehende haben in der Steuerklasse II einen maximalen Entlastungseffekt von 860 Euro im Jahr, beim Ehegattensplitting sind es bis zu 16.000 Euro im Jahr. Der VAMV fordert die Ausgestaltung über einen zweiten Grundfreibetrag als Gegenstück zum Ehegattensplitting, so lange es noch keine Kindergrundsicherung gibt.
Bedarfsgerechte Kinderbetreuung
Wir freuen uns sehr, dass unser ergänzende Kinderbetreuungsangebot „Sonne, Mond und Sterne“ auch in der Politik immer stärker auf Anerkennung stößt. Die Randzeitenbetreuung im Haushalt der Eltern ist kind- und bedarfsgerecht und ermöglicht alleinerziehenden Müttern und Vätern den Abschluss einer qualifizierten Ausbildung, den beruflichen Wiedereinstieg bzw. die Sicherstellung des Arbeitsplatzes.
In Essen ist das ergänzende Kinderbetreuungsangebot „Sonne, Mond und Sterne“ seit 2014 etabliert. Im Anschluss oder vor der Regelbetreuung (Kita oder Schule mit OGS) kommt eine Kinderfee ins Haus, die flexibel, bedarfs- und kindgerecht die Kinder im Haushalt der Eltern betreut und versorgt. Die Kinderfeen werden qualifiziert für ihre Aufgaben und erhalten eine Aufwandsentschädigung. Derzeit werden 7 Kinder unter 6 Jahren und 25 Schulkinder von 20 alleinerziehenden Müttern und Vätern betreut. Die Hälfte der Alleinerziehenden absolviert eine Ausbildung bzw. arbeitet im Gesundheitswesen. Sonne, Mond und Sterne eröffnet nicht nur eine Erwerbstätigkeit sondern trägt auch zur Beseitigung des Fachkräftemangels im Gesundheitswesen bei. Kooperationen mit Fachschulen und Arbeitgebern im Gesundheitswesen könnten weiteren Alleinerziehenden dort eine Ausbildung bzw. eine Erwerbstätigkeit ermöglichen.
Entlastung – mehr Zeit für Familie
Die Ergebnisse der Studie „Alleinerziehend – Situation und Bedarfe“ zeigen, dass sich Alleinerziehende im Alltag oft stark belastet fühlen. Dies drückt sich unter anderem in einer großen Unzufriedenheit mit der Gesundheit und dem Schlaf aus. So bewerten 25% der Alleinerziehenden ihre Gesundheit auf einer Skala von 0 bis 10 maximal mit einer drei, ihren Schlaf maximal mit einer vier. Ihre Bewertungen weichen insgesamt deutlich von denen von Müttern aus Paarfamilien ab.
In den Politikwerkstätten gaben die Alleinerziehenden an, wie schwierig ihre Lebenssituation vielfach sei. Es gäbe eine Vielzahl an Belastungsfaktoren: die Trennung selbst, das Verhältnis zum*zur Expartner*in, rechtliche Auseinandersetzungen um die Trennung oder den Kindesunterhalt, finanzielle Probleme, zeitliche Probleme, fehlende Zeit für die eigenen Bedürfnisse u.v.m. Unvorhergesehene Ereignisse wie eigene Krankheit oder die Krankheit des Kindes könnten dazu führen, dass der oft diszipliniert durchgetaktete Alltag kaum bewältigt werden könne.
Hier ist die Politik aufgerufen, für spürbare Entlastung zu sorgen.
Zusammenfassung : Forderungen des VAMV NRW zur Unterstützung für allein erziehende Mütter und Väter
Alleinerziehendenfamilien brauchen mehr politische und gesellschaftliche Unterstützung, damit eine Gleichstellung der Lebensverhältnisse mit anderen Familienformen Wirklichkeit wird:
- Verringerung der hohen Zahl allein erziehender Mütter ohne Berufsabschluss und unterqualifiziert Beschäftigter
- Ermöglichung von Berufsausbildungen auch für „ältere“ Alleinerziehende
- Bündelung von Auszahlungsterminen für BAB, Kindergeld, Wohngeld und Ausbildungsgehältern
- Abschaffung des Ehegattensplittings als Fehlanreiz, der einer auskömmlichen Erwerbsarbeit von Ehefrauen entgegensteht
- Steigerung der Anteile von Vätern in Elternzeit
- Einführung einer Kindergrundsicherung
- Reform des Unterhaltsvorschusses: Beseitigung der vollen Kindergeldanrechnung und Nichtanrechnung auf Leistungen nach dem SGB II und XII
- Weitere steuerliche Entlastung in der Steuerklasse II: Ausgestaltung über einen zweiten Grundfreibetrag
- Flächendeckende bedarfsgerechte Kinderbetreuung, z.B. wie im Projekt Sonne, Mond, Sterne
- Einrichtung niedrigschwelliger Anlaufstellen vor Ort
- Umsetzung eines Digitallotsen im Internet
- Förderung von Familienerholungen
- Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen mit einkommensabhängigen Modellen
- Bereitstellung von Landesmitteln zur Erprobung einer Kombination von haushaltsnahen Dienstleistungen und ergänzender Kinderbetreuung in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung